Classroom – Förderung der Produktivität im Unterricht?

Classroom gehört inzwischen an vielen Schulen zum festen Bestandteil des digitalen Unterrichts. Die App von Apple erlaubt es Lehrkräften, auf einen Blick zu sehen, was ihre Schüler*innen gerade auf dem iPad machen. Sie können beobachten, welche Apps geöffnet sind, welche Seiten besucht werden und sogar Bildschirme sperren oder die Geräte auf bestimmte Anwendungen begrenzen. Die Grundidee dahinter klingt nachvollziehbar: Weniger Ablenkung, mehr Konzentration.

Doch im Schulalltag erleben das nicht alle als Unterstützung. Vor allem viele Schüler*innen empfinden den Einsatz von Classroom eher als Eingriff. Und das beginnt oft bei ganz alltäglichen Situationen.

Ein typisches Beispiel: Eine Schülerin möchte im Unterricht schnell etwas nachschlagen, vielleicht ein Synonym oder einen Fachbegriff, um den Inhalt besser zu verstehen. Sie öffnet den Browser, beginnt zu tippen  und Sekunden später ist ihr Bildschirm gesperrt. Die Lehrkraft hat nur gesehen, dass ein Browser offen war. Und aus Sorge, sie könne sich ablenken, wurde kurzerhand die Steuerung  übernommen. Solche Momente sind keine Seltenheit. Viele Schülerinnen und Schüler erzählen von ähnlichen Erfahrungen. Sie berichten, dass sie sich dadurch eingeschränkt fühlen. Als könnten sie nichts tun, ohne sofort überwacht zu werden.

Natürlich ist Aufmerksamkeit am Unterrichtsgeschehen wichtig und die Ablenkung durch digitale Geräte real. Aber was passiert, wenn aus Unterstützung Überwachung wird? Wenn die Lehrkraft zwar helfen will, dabei aber die Glaubwürdigkeit verloren geht?

Um dieser Frage nachzugehen, habe ich zwei Umfragen durchgeführt. Eine richtete sich an Schüler*innen, die regelmäßig mit Classroom arbeiten müssen. Die andere an Lehrkräfte, die das Tool aktiv einsetzen. So lassen sich beide Seiten vergleichen. Und es zeigt sich: Die Einschätzungen gehen weit auseinander.

Umfrageergebnisse der Schüler*innen

Bei den Schüler*innen fällt auf, dass fast alle regelmäßig iPads nutzen. Rund vierundachtzig Prozent empfinden das Gerät selbst nicht als störend. Nur eine kleinere Gruppe fühlt sich oft durch Spiele oder soziale Medien abgelenkt. Insgesamt scheint das iPad an sich also kein großes Problem darzustellen.

Anders sieht es bei Classroom aus. Viele Schüler*innen sagen, dass sie sich dadurch überwacht fühlen. Ein Teil von ihnen findet das in Ordnung. Doch etwa ein Drittel fühlt sich dabei unwohl. Und genau hier wird es interessant: Diejenigen, die kein Problem mit der Beobachtung haben, empfinden Classroom häufiger als hilfreich. Wer sich aber gestresst fühlt oder sich ständig beobachtet weiß, sieht das ganz anders. Für diese Gruppe hat Classroom keinen positiven Effekt, im Gegenteil, es senkt sogar die Motivation.

Umfrageergebnisse der Lehrkräfte

Auch die Lehrkräfte wurden gefragt, wie sie Classroom im Alltag erleben. Die meisten schätzen die App durchaus. Viele berichten, dass sie damit den Überblick behalten und schneller reagieren können, wenn sich jemand ablenkt. Einige nutzen das Tool auch für Präsentationen, Gruppenarbeiten oder zur gemeinsamen Steuerung von Aufgaben. Nur vier Prozent sehen keinen Mehrwert.

Doch auch bei den Lehrerinnen und Lehrern gibt es kritische Stimmen. Einige wünschen sich klarere Regeln im Kollegium, damit nicht jeder das Tool auf eigene Art nutzt. Andere meinen, dass Classroom nicht in jeder Jahrgangsstufe gleich sinnvoll ist. Gerade in höheren Klassen sollten die Schüler*innen mehr Eigenverantwortung übernehmen dürfen. Die App könne hier sogar hinderlich sein.

Vergleich der Ergebnisse

In den offenen Kommentaren aus beiden Umfragen werden diese Unterschiede noch deutlicher. Einige Schüler*innen schreiben, dass Classroom für eine ruhigere Atmosphäre sorgt und hilft, sich zu konzentrieren. Andere sagen, dass spontane Ideen unterdrückt werden, weil man ständig Angst hat, die falsche App zu öffnen. Besonders in der Oberstufe fühlen sich viele eingeengt. Der Wunsch nach klaren Regeln, mehr Klarheit und einer ehrlichen Kommunikation taucht immer wieder auf. Eine Aussage bringt das besonders gut auf den Punkt: „Wenn der Unterricht spannend genug ist, pass ich auch so auf.“

Auch die Lehrkräfte äußern sich differenziert. Viele wünschen sich, dass Classroom nicht nur als Kontrollinstrument gesehen wird, sondern als Werkzeug, das helfen kann, wenn es richtig eingesetzt wird. Dazu gehört für viele auch, den Einsatz gemeinsam mit der Klasse zu besprechen. Nur wenn klar ist, wann und wozu die App verwendet wird, entsteht ein vertrauensvoller Umgang.

Was man aus all dem lernen kann: Classroom ist weder gut noch schlecht. Es ist ein Werkzeug. Und wie bei jedem Werkzeug kommt es darauf an, wie man es benutzt. Wird es offen eingesetzt, mit klaren Absprachen und im richtigen Moment, kann es den Unterricht strukturieren und tatsächlich dabei helfen, konzentrierter zu arbeiten. Wenn aber nur die Kontrolle im Vordergrund steht und Schüler*innen das Gefühl haben, ständig beobachtet zu werden, geht genau das verloren, was im Unterricht so wichtig ist: Vertrauen.

Natürlich kann es sinnvoll sein, bei jüngeren Schüler*innen oder in unruhigen Phasen mit Classroom zu arbeiten. Aber in älteren Klassen, wo Selbstständigkeit gefragt ist, wirkt die App manchmal wie eine digitale Fußfessel. Genau hier braucht es ein sensibles Gespür und die Bereitschaft, über den Einsatz zu sprechen.

Deshalb lässt sich die Eingangsfrage – ob Classroom eher fördert oder eher kontrolliert – nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Es kommt darauf an. Darauf, wie bewusst das Tool eingesetzt wird. Wie transparent der Umgang damit ist. Und ob es in einen Unterricht eingebettet ist, der ohnehin spannend und motivierend gestaltet ist.

Wenn Schülerinnen mitentscheiden dürfen, wie Classroom eingesetzt wird, wenn Lehrerinnen technisch sicher und pädagogisch überlegt damit umgehen, dann kann es wirklich ein Gewinn sein. Aber ohne Ehrlichkeit, ohne klare Regeln und ohne Gespräche bleibt es für viele eben nur eines: ein Kontrollinstrument.

Vielleicht braucht es also nicht mehr Technik, sondern mehr Miteinander. Mehr Gespräche darüber, was digitales Lernen leisten kann und wo seine Grenzen liegen. Denn letztlich geht es doch darum, gemeinsam zu lernen. Und das klappt am besten, wenn sich alle gesehen und ernst genommen fühlen. Nicht überwacht, sondern verstanden.

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